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Hannes Niederhausen

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Maryas Jagd

Marya saß auf der Mauer der Burg und starrte sehnsüchtig in die Dunkelheit. Der Mond hing noch tief. Wie gern wäre sie jetzt jagen gegangen, doch Vater hatte es ihr verboten.

»Junge Gräfin, darf ich fragen, was Sie hier tun?«

Marya zuckte ertappt zusammen. Johmy, ihr Hauslehrer, hatte sie schon vor einer Weile in der Lernstube erwartet. Doch Marya verspürte keine Lust auf Algebra, das Fieber hatte sie gepackt, nur kurz wollte sie in die Wälder. Nur mal schauen, was sich dort alles so tummelt.

»Husch husch«, sagte der Lehrer und scheuchte sie wie ein entlaufenes Huhn zu den Stufen.

Widerwillig stieg sie sie herab, doch ihre Stimmung besserte sich, als sie den jungen Stallburschen sah. Er schleppte sich gerade mit einem riesigen Sattel ab.

»Barbu, ist Ser Lorin schon zurück?«

Der Stallbursche ächzte unter dem Sattel des riesigen Ritters. Schnell rannte Marya zu ihm und ergriff gerade rechtzeitig den Sattel, bevor er auf den Boden fiel.

»Ich helfe dir«, sagte sie mit einem Lächeln.

»Danke, Mylady«, sagte der Stallbursche.

Sie mochte es nicht, wenn er so förmlich war. Doch im Angesicht des Hauslehrers blieb ihm nichts anderes übrig.

Auch sie hatte keine Wahl mehr und musste die Stunde stumpfsinniger Rechnerei über sich ergehen lassen.

»Ihr habt euch eure Pause verdient«, sagte der Lehrer und Marya rannte zurück auf den Hof, an den Wachen vorbei, über den Burggraben hinweg auf die weite Wiese vor der Burg.

Sie würde nur kurz den Mond genießen, in den Wald schauen, das Jagdfieber spüren und dann in die elende Lernstube zurückkehren, nahm sie sich vor.

Da!

Ein Kaninchen hoppelte an ihren Füßen vorbei, eilte in Richtung Wald, wo es sich in Sicherheit wähnte. Maryas rannte hinter ihm her, ließ einen Baum nach dem nächsten hinter sich, bis das Tier eine kurze Pause vor der alten Brücke machte.

Das Holz war moosbewachsen, doch noch schlimmer, viele Planken waren bereits schwarz vor Schimmel. Würden sie sie noch halten?

Langsam schlich sie sich an das Tier heran. Wenn sie es richtig machte, könnte sie es mit bloßen Händen fangen.

Sie schnellte vor, doch das Tier schien sie erwartet zu haben, sprang zurück und hoppelte eilig auf die Mitte der Brücke.

Marya grinste. »Dich bekomme ich«, sagte sie nun völlig im Jagdfieber. Mit vorsichtigen Schritten betrat sie die Brücke. Die Planken unter ihr ächzten, doch sie ignorierte die Warnungen.

»Bleib stehen«, befahl sie dem Kaninchen und es schien, als würde es gehorchen. Es hoppelte sogar ein wenig auf sie zu. Sie ging in die Knie, wartete, bis ihr Opfer in ihre Arme sprang, doch da zersplitterte das Holz unter ihr und, noch bevor sie sich irgendwo festhalten konnte, fiel Marya mit dem Tier in den Abgrund.

Das lange Haar flatterte um ihren Kopf herum, nahm ihr die Sicht, doch das war wohl besser so. Nicht mehr lang und sie würde auf dem steinigen Boden der Schlucht aufschlagen. Sie kniff die Augen zusammen, hielt den Atem an und wartete auf den Aufprall.

Nur der wollte nicht kommen. Mühsam drehte sie sich, schaute nach unten, doch es war nichts zu sehen. Sie verstand nicht. War das Magie? Hatte sie das ausgelöst?

Sie schrie aus Angst, den Rest ihres Lebens zu fallen. Sie wedelte mit den Armen, konzentrierte sich, doch nichts half. Sie fiel bis ihr schwarz vor Augen wurde.

Als sie wieder zu Bewusstsein kam, fühlte sie weiches Gras unter sich. Sie schaute hinauf in die Sterne. Der Mond hing tief und schien viel näher zu sein, als er es zuvor gewesen war.

»Heda! Seid ihr endlich erwacht, junge Dame«, sagte eine Männerstimme.

Marya richtete sich auf. Der Geruch von frischem Braten kroch ihr in die Nase und ihr Magen knurrte.

Sie erhob sich. Der Mann saß an einem Lagerfeuer, über dem ein Spieß langsam rotierte. Es war ihr Kaninchen, dachte Marya enttäuscht.

Das Fell des Tieres hing nur ein paar Schritte entfernt an einem Baum. Blut tropfte auf den Boden und Marya seufzte.

»Habt ihr Hunger, junge Dame?«

Sie nickte und ging auf den Mann zu. Vorsichtig machte sie einen Bogen um ihn herum und näherte sich von hinten. Der Mann starrte entspannt auf das gebratene Tier.

Marya berührte seinen Hals, doch der Mann zuckte zusammen und nur einen Wimpernschlag später hatte er ihre Hand ergriffen. »Ich bin kein Monster«, sagte er. »Bitte setzt Euch, Ihr müsst nichts für das Fleisch bezahlen.« Er ließ ihre Hand los und Marya lächelte.

Sie beugte sich vor und flüsterte in sein Ohr: »Ich danke Euch!« Dann schürzte sie die Lippen und rammte ihre Fangzähne in seinen Hals.

Ihre Hände verhinderten, dass er einen Laut von sich geben konnte. Sie trank das warme Blut, als hätte sie seit Wochen nichts bekommen. Doch Selbstgejagtes schmeckte so viel besser, als das Blut, dass Vater ihr zugestand. Mit geschlossenen Augen saugte sie den Mann bis zum letzten Tropfen aus.

Als nichts mehr aus dem Mann zu holen war, stieß sie ihn nach vorn, richtete sich auf und leckte sich die Lippen sauber. Sie seufzte wohlig. Das war sehr lecker gewesen.

Sie hörte ein Rascheln vor sich und dann einen lauten Schrei.

Marya öffnete erschrocken die Augen und blickte in den entsetzten Augen eines kleinen Jungen. Sein Mund war weit aufgerissen, der Schrei kam aus seiner Kehle und gar nicht weit entfernt bellten Hunde eine Antwort.

Sie starrte ihn an. Was nun? Sollte sie ihn ebenfalls töten?

Sie musste sich beeilen. Sie sprang vor, doch irgendetwas stimmte nicht. Ihre Muskeln versagten ihre Arbeit. Sie hätte die 20 Fuß zwischen ihr und dem Jungen mit einem Sprung hinter sich bringen müssen, doch sie hatte nicht einmal 3 Fuß geschafft. Der Junge kam zu sich, drehte sich um und rannte auf die Hunde zu. Sie konnte ihm nicht folgen, nicht riskieren, entdeckt zu werden, solange ihre Kräfte sie im Stich ließen.

Also rannte sie wie ein gejagtes Tier in die entgegengesetzte Richtung und verfluchte diese Welt.

Der Mond schien durch die Blätter und ließ kleine Lichtpunkte auf dem Erdboden tanzen. Noch nie hatte Marya so schlecht gesehen und zwei Mal wäre sie beinahe gestürzt.

Endlich erreichte sie eine helle Lichtung. Mit offenem Mund schaute sie nach oben. Der Vollmond war so groß, als würde er gleich auf die Erde stürzen.

»Möchtest du gefasst werden?«

Marya zuckte zusammen. Sie drehte sich im Kreis, konnte aber niemanden sehen. Wer sprach zu ihr?

»Lauf über die Lichtung, jetzt!«

Marya zögerte einen Moment, dann hörte sie die Hunde bellen und rannte.

»Gut«, sagte die Stimme.

Plötzlich spürte sie ein Kribbeln auf ihrer Haut. Für einen Wimpernschlag sah sie schwarz, dann stand sie vor einem Haus. Sie schaute zurück und keuchte. Der Wald schien hinter einem Schleier aus Wasser zu stehen.

»Willkommen in meinem bescheidenen Heim«, sagte die Stimme. Mayra wendete sich dem Haus zu. Jetzt erst bemerkte sie die Frau, die an einem Zuber stand. Sie trocknete ihre Arme ab. Marya roch Blut unter dem Seifengeruch.

»Du bist nicht von hier, nicht wahr?«

Marya kniff die Augen zusammen. War diese Frau ihr feindlich gesonnen?

Hinter ihr bellten die Hunde, die Jäger erschienen und schauten sich auf der Lichtung um.

Marya zischte.

»Ganz ruhig. Sie werden uns nicht finden.«

»Wer bist du?«

Die Fremde lächelte und führte sie zum Zuber. Das Wasser war rot gefärbt. »Es ist nicht mehr sauber, aber sollte reichen.«

»Wozu?«

Marya schaute in den Bottich. Das Lächeln der Frau spiegelte sich darin, sich selbst konnte sie natürlich nicht sehen.

Die Frau reichte ihr ein Tuch.

»Wasch dich, du bist voller Blut.«

Marya wischte sich über Mund und Hals, bis das Tuch nichts mehr aufnahm. Dann folgte sie der Frau in das Haus. Es roch nach frischem Braten.

»Dir wird es hier gefallen«, sagte die Frau. »Wesen wie wir haben es sehr gut in dieser Welt.«

»Wesen wie wir?«

»Wesen der Nacht. Hier wird es nie hell.«

»Aber …« Marya verschlug es die Sprache. Sie würde sich frei bewegen können, würde nicht mehr durch die Sonne gezwungen, in ihrem Zimmer zu bleiben. Es war, als wäre sie in einem Traum. In einem Traum, der ihre übermenschlichen Fähigkeiten geraubt hatte.

»Wie komme ich nach Hause?«, fragte sie. Auf die Sonne konnte sie ja verzichten, aber nicht auf ihre Schnelligkeit und Nachtsicht.

»Das kann ich dir nicht sagen. Niemand ist je zurückgekehrt. Doch ich kann dir etwas geben, dass dir deine Fähigkeiten wiedergibt.«

Marya horchte auf. »Woher weißt du so viel über mich?«

»Nicht über dich, aber Deinesgleichen. Komm.«

Marya folgte ihr in einen weiteren Raum. Links lag ein Berg von Kinderkleidung, rechts stand ein Tisch, auf dem noch Blut trocknete.

Die Frau nahm eine Phiole vom Regal und reichte sie ihr.

»Nimm dies, doch erst, wenn du einen Prinzen in deiner Nähe wähnst. Das Tonikum wirkt nur für wenige Momente, du musst seine Wirkung mit dem Blut eines Prinzen fixieren.«

»Hast du welches hier?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Doch ich weiß, dass einer der Jäger ein Prinz ist.«

Marya verstand. »Riecht es hier verbrannt?«, fragte sie.

»Oh nein!«

Marya hatte kein Bedürfnis zu sehen, was in dem Ofen war. Sie bedankte sich, doch die Frau war vollends mit ihrem Braten beschäftigt.

Einen Prinzen also. Sie ging durch die Barriere, hörte, wie sich die Hunde entfernten und wusste, was zu tun war.

Sie schrie. Sie schrie panisch, bis die Jäger wieder bei ihr waren.

Hektisch zeigte sie zum Haus, dass keiner sehen konnte.

»Beruhigt Euch«, sagte ein Mann. Er trug einen dicken Ring, der dem von Vater sehr ähnelte. Ein Siegelring. Das musste ihr Prinz sein.

Sie schrie weiter, zeigte in Richtung des Hauses und hoffte, dass die Hexe schnell starb, bevor sie ihr eigenes Geheimnis verraten konnte.

Einer der Gefolgschaft stand direkt vor der Barriere. Marya versetzte ihm einen Stoß und er verschwand. »Dort ist das Monster«, sagte sie und ließ sich in die Arme des Prinzen fallen.

Der legte sie vorsichtig ab und ging mit dem Rest durch die Barriere. Marya wartete bis sie zurückkamen. Wie erhofft zogen sie den toten Leichnam der Hexe hinter sich her.

»Wir müssen sie verbrennen!«, rief einer der Jäger und der Prinz stimmte zu.

»Doch zuerst«, sagte er, »müssen wir dieses arme Wesen zum Schloss bringen. Sie hat Fürchterliches gesehen.«

Marya ließ sich tragen. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Ein Grausames. Wenn der Gute nur wüsste, was Vater mit seinen Gegnern alles tat.

Sie wurde in eine Kutsche gebracht, der Prinz gesellte sich zu ihr in die Kabine. »Ich werde euch beschützen, Mylady«, sagte er und schon rollte die Kutsche an.

Sie schloss die Augen und versuchte, seinen Herzschlag zu hören.

»Ihr müsst erschöpft sein«, sagte er.

Sie nickte und schlug die Augen auf. Vor ihr strahlte das Gesicht des Mannes. Sie hätte gedacht, ewige Dunkelheit würde Menschen innerlich zerstören, doch der Prinz wirkte gar nicht zerstört.

»Darf ich fragen, wie euer Name ist?«

Sie sagte es ihm.

»Und wo kommt ihr her?«

Sie überlegte einen Moment.

»Ihr müsst es mir nicht sofort sagen«, sagte der Prinz. »Wisst ihr, eine weise Magierin hat mir prophezeit, dass ich die Liebe meines Lebens im Wald treffen würde. Eine blasse Prinzessin mit langem schwarzen Haar.« Er beugte sich vor, nahm ihre Hand. »Ich glaube, das seid ihr.«

Sie blinzelte verwirrt. Konnte er das wirklich glauben?

»Als ich Euch gesehen habe, wusste ich es sofort.«

»Aber Ihr kennt mich doch überhaupt nicht«, bekam sie endlich heraus.

»Das wird sich ändern. Bitte, gebt mir eine Chance.«

Marya überlegte einen Moment. Die Hexe hatte keinen Weg zurück gekannt. Warum sollte sie nicht ein neues Zuhause finden? Doch dafür müsste sie den Prinzen unversehrt lassen. Vorerst zumindest.

Sie lächelte. »Es wäre mir eine Ehre«, sagte sie süffisant und die Augen des Prinzen begannen zu strahlen.

Schnell setzte er sich auf ihre Seite, nahm ihre Hände und fragte: »Wisst ihr eigentlich, wie wunderschön ihr seid?«

Sie schaute nach unten. »Bitte, ihr beschämt mich«, sagte sie.

»Nein wirklich …«

Die Kutsche hielt und jemand klopfte an die Tür. »Ja!«

»Sire«, sagte der Jäger. »Wir haben den Jungen.«

Noch bevor Maryas Verstand arbeiten konnte, wurde der Junge in den Wagen gehoben und auf die Bank gesetzt. Für eine Schrecksekunde starrten Marya und er sich an, dann zeigte er auf sie und schrie.

Marya griff nach der Phiole. Dann doch kein neues Zuhause, dachte sie und trat den Prinzen von sich. Der Korken der Phiole löste sich und sie setzte den magischen Trunk an, als sie das Surren hörte. Nur ein Tropfen erreichte ihre Lippen, der Rest fiel mit der Phiole auf den Boden. Sie schaute an sich herab, dann zu dem Jäger an der Kutschentür. Er zielte noch mit seiner Armbrust auf sie, doch der Pfeil steckte in ihrer Brust, in ihrem Herzen.

Und Maryas letzter Gedanke war: »Vielleicht ist es ja nur ein Traum.«

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