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Hannes Niederhausen

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Martins Hypothese

Martin sitzt auf dem Fensterbrett, doch schaut nicht, wie für seine Art üblich, aus dem Fenster hinaus, sondern beobachtet den Mann am Schreibtisch, der ihn nun schon seit vier Jahren sein Haustier nennt.

Juri lehnt sich zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Gleich würde er die Beine auf die Tischplatte legen und angestrengt einen Seufzer unterdrücken.

»Haben Sie versucht, ihn neu zu starten?«

Juri arbeitet seit vier Jahren als technischer Support. »Und dafür habe ich studiert«, jammert er jedes Mal am Ende seiner Schicht.

Jedes Mal. Martin kann die Uhr danach stellen, wenn er denn eine Uhr tragen würde.

»Nein, der Laptop startet nicht neu, wenn sie ihn zuklappen, er fährt nur in einen Tiefschlafmodus. Sie müssen den Rechner …«

Juri fährt sich mit der Handfläche über das Gesicht. Er will so sehr seufzen. Doch das letzte Mal, als ihm ein Seufzer herausgerutscht war, hatte es sofort eine Beschwerde gegeben. Noch eine und er war arbeitslos und dann könnte er sich die Miete nicht mehr leisten.

Druck. Das Einzige, das den Menschen funktionieren lässt, denkt Martin.

Endlich scheint es der andere Mensch verstanden zu haben und Juri legt erleichtert auf. Der Wecker klingelt. Schichtende.

Juri nimmt die Füße vom Tisch und wendet sich Martin zu.

»Komm her, du dummer Kater«, sagt Juri. Martin bleibt, wo er ist.

»Komm her … ach. Kauf dir keine Katze, hat meine Mutter gesagt, ein Hund hört auf dich.«

Juris Mutter ist schon seit zwei Jahren tot und seitdem ist er allein. Nur Martin bereichert sein Leben, dabei ist er nicht hier, um ihm ein gutes Gefühl zu geben. Er soll nur beobachten.

Juri erhebt sich ächzend vom Stuhl und das Möbelstück quietscht vor Erleichterung. Es klingt, als würde ein Elefant über das Parkett stampfen. Dann spürt Martin die Wurstfinger hinter seinem Ohr und er muss zugeben, dass es sich gut anfühlt.

»Du bist eine komische Katze. Warum guckst du nicht wie alle anderen Katzen aus dem Fenster?«

Weil sie andere Aufgaben haben, denkt Martin.

Er erinnert sich an einen schlanken Juri. Der war Mathematiker, hatte Frau und Kinder. Drei an der Zahl, doch Juri war nicht glücklich gewesen. Er wollte seine Ruhe, allein sein, so wie er es jetzt ist. Doch dieser Juri scheint nicht minder unglücklich zu sein.

Martin schnurrt zufrieden. Er hat genug gesehen.

Am Abend isst Juri allein vor dem Fernseher. An eine Dusche denkt er nicht mal, als er sich ins Bett legt.

Martin legt den Kopf an Juris Wange. Er kann das Unglück unter dem Schweiß riechen.

Nur noch ein Versuch, denkt Martin und wartet, bis Juri eingeschlafen ist. Er atmet flach, seine schwere Brust hebt sich kaum. Unregelmäßig setzt sein Atem aus, rechtzeitig reagiert sein Körper und schießt Adrenalin in seine Adern. Juri schnappt nach Luft, atmet ein paar Mal tief ein, bis er wieder in den Schlaf und damit die flache Atmung verfällt.

Martin legt sich auf seine Brust, als Juri erneut einen Atemaussetzer hat. Er schnurrt und tief in Juris Unterbewusstsein werden Synapsen beruhigt, die schon lange einen neuen Adrenalinschub auslösen sollten.

Doch Martin schnurrt weiter, immer weiter, bis er den Herzschlag unter seinem Bauch nicht mehr spürt. Juri ist heruntergefahren.

***

Martin brauchte nicht lange, bis er seine neue Familie gewählt hatte. Genauso wenig dauerte es, bis Juri seinen Weg in diese Familie fand.

Jetzt sitzt Martin auf dem Fensterbrett und beobachtet geduldig, wie Karla ihr Baby zur Welt bringt. Das Geschrei der Menschenfrau beachtet er ebenso wenig, wie die panischen Beschwörungen, die Bernd, ihr Mann, ihr ins Ohr schreit. Es ist nicht Martins erste Geburt.

Juris auch nicht.

Martin wartet geduldig, bis das Baby in den Händen der Hebamme liegt. Es neigt den Kopf zur Seite. Das Baby, Juri, sieht ihn an, ohne die Augen zu öffnen. Es erkennt Martin, das können die Seelen am Anfang immer. Sie sehen mit dem Herzen, nicht mit den Augen.

Martin springt vom Fensterbrett auf den Tisch, auf den die Hebamme das Baby legt und wartet, bis sie das Kind gereinigt hat.

Die Hebamme zischt ihn an. »Weg mit dir!«

»Lassen sie ihn!«, ruft Karla erschöpft. »Er muss doch wissen, wen er beschützen soll.«

Martin schaut die Hebamme einen Augenblick an, bis sie seufzend aufgibt und das Baby wäscht.

Für einen kurzen Moment hat die Seele des Kindes all die Erinnerungen seiner vorherigen Leben. Der kleine Körper spannt sich an. Jetzt ist der Augenblick, an dem die Seelen erkennen, ob sie früher ein gutes Leben hatten. Juri hatte keins und er beginnt zu weinen.

»Keine Sorge«, sagt Martin und geht ein paar Schritte auf das Baby zu.

Es dreht den Kopf zu ihm und verstummt.

»Sehen Sie, er beruhigt den Kleinen«, sagt Karla.

»Du warst immer da, Martin?«, fragt Juri stumm und Martin nickt.

»Sag mir Juri, wirst du diesmal glücklich werden?«

Das Baby will es. »Unbedingt. Diesmal werde ich es schaffen.«

»Ich wünsche es dir. Ich werde bei dir sein.«

Aber daran glauben kann Martin nicht. Er wünscht dem Kleinen alles Gute, hofft so sehr, dass Juri dieses Mal sein Glück finden wird. Doch er ist sich sicher, dass das Unglück an seine Seele gebunden ist. Egal, was Juri versuchen wird, Glück ist ihm nicht bestimmt.

Langsam verblassen die Erinnerungen des Babys an die alten Leben.

»Viel Glück«, sagt Martin und springt vom Tisch. Er wird bei ihm bleiben, wird ihn beschützen, aber am wichtigsten ist: Er wird beobachten, um seine These zu beweisen. Dabei ist er sich nicht einmal sicher, ob er sich freuen würde, wenn sich zeigte, dass Unglück oder Glück fest mit der Seele verhaftet sind.

Das Baby wird an Karlas Brust gelegt. Ein Neustart und wer weiß, vielleicht wird diesmal alles besser.

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