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Hannes Niederhausen

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Flucht

Ich weiß nicht, warum ich immer noch aus dem Fenster sehe. Fenster. Es klingt, als wäre ich nur in irgendeinem Gebäude gefangen. Auf der anderen Seite rasen Sterne an mir vorbei, doch seit der Zerstörung der Erde habe ich keinen Planeten mehr gesehen.

Ich weiß nicht, warum die Besitzer des Schiffs uns gerettet haben. Keine Ahnung, warum ausgerechnet uns. Wir sitzen in einer kleinen Kabine, die Mandys und Kevins, mit denen ich hier eingesperrt bin, schluchzen in einer Ecke, keine drei Meter von mir. Ich möchte sie schlagen, anschreien, denn sie verstehen nicht, dass wir es jetzt sind, die auf der Flucht sind, eine neue Heimat brauchen. Ich schaue auf meine geballten Fäuste und schlucke die Wut herunter. Mit zusammengekniffenen Augen öffne ich die Fäuste. Dann schaue ich wieder aus dem Fenster, im Spiegelbild kann ich Schemen der vier Personen erahnen, die hinter mir sitzen.

Zeit vergeht, ich weiß nicht wie viel, mein Magen knurrt, meine Lippen sind spröde und meine Beine schmerzen. Ich kann nicht mehr stehen, lasse mich die Wand herunter rutschen und schaue auf die vier eingeschüchterten Rassisten. Wieder frage ich mich, warum ausgerechnet diese Vier mit mir gerettet wurden. Ich schüttle den Kopf, lehne ihn an die Wand und schließe die Augen.

Ich sehe hoffnungslose Blicke von Menschen, die alles verloren haben und die hoffen bei uns Frieden zu finden. Doch was ihnen gegenüber steht, sind die Kevins und Mandys, die unter dem Denkmantel der Angst vor dem Fremden ihren Rassismus ausleben. Sie schreien: »Nein zum Heim.« und »Das sind alles Wirtschaftsflüchtlinge!« und zu den Helfern: »Nieder mit den Volksverrätern!«

Ich schlucke. Erneut steigt die Wut in mir auf, doch ich sage nichts, wie ich auch auf der Demo nichts sagte. Ich war Beobachter, Journalist. Ach, das scheint so lange her. Als dann das erste Haus explodierte, rannten wir davon und plötzlich schrien alle das gleiche und das erste Mal glaubte ich, dass die Menschen um mich herum wirklich aus Angst kreischten. Ich blinzle und dann sehe ich auf einmal meine zwei Nichten im Garten spielen. Meine Mutter schneidet die Rosen, mein Vater trinkt ein Bier, während er die Zeitung liest. Bild – ich seufze. Dann sehe ich den nächsten Feuerball vom Himmel herabrasen, und bevor meine Familie verbrennt, reiße ich die Augen auf. »Das muss nicht so passiert sein!«, sage ich mir. »Sie leben vielleicht noch.« Die Hoffnung verfliegt wie ein Blatt im Sturm. Ich denke an die Menschen, die bei uns Hilfe suchten. Wussten sie, ob ihre Familie noch lebte?

Endlich ein Rattern im Gang. Ich höre Stimmen, die Sprache verstehe ich jedoch nicht. Dann klickt unsere Tür, quietschend schiebt sie sich beiseite und ein zwei Meter hohes Reptil steht vor uns. Mandy 1 schreit, die Zweite wimmert. Die Kevins starren das Wesen nur an. Ich winke völlig bescheuert. Das Wesen ignoriert uns alle. Es stellt fünf Flaschen auf den Boden, dann verschwindet es und die Tür schließt sich wieder. Kevin 1 kriecht zu den Flaschen und krallt sie sich alle. Er gibt seinen Mitdemonstranten jeweils eine und behält die letzten beiden. Ich starre ihn mit offenem Mund an. Mandy 2 stupst ihn an und zeigt auf mich. Sie sagt nichts. Kevin 1 schon: »Warum sollte ich der Lügenpresse was abgeben?« Ich grunze. Ein Außerirdischer gibt uns etwas zu trinken und er hängt immer noch am rassistischen Blödsinn.

Jetzt wandert der Blick der anderen Mandy von mir zu ihm. Dann reißt sie ihm einfach die Flasche aus der Hand und rollt sie mir herüber.

»Wir sind jetzt alle in einem Boot!«, schreit sie ihn an. Ich bekämpfe den Drang, sie zu korrigieren; »sind« oder »sitzen« spielt keine Rolle mehr. Ich nicke ihr dankbar zu. Kevin 2 öffnet die Flasche, riecht am Inhalt und schreit: »Das ist ja ekelhaft! Das kannste alleine trinken!« Der letzte Satz gilt mir und ich seufze. Sie halten das Ganze wohl einfach für eine Luxusreise. Ich öffne meine Flasche und ein fauliger Geruch steigt mir in die Nase. Mein Magen verkrampft, beruhigt sich dann aber nach ein paar Sekunden wieder. Ich halte mir die Nase zu und setzte den Flaschenhals an. Der Brei in der Flasche kriecht langsam vom Flaschenhals in meinen Mund. Auf der Zunge scheint er flüssiger zu werden, als reagiere er mit dem wenigen Speichel, der mir noch im Mund geblieben war und dann entfaltet sich eine unbeschreibliche Geschmacksexplosion. Warum der Brei so furchtbar riechen muss, verstehe ich jedoch nicht. Nach einem Drittel des Flascheninhalts fühle ich mich satt, wie nach einem Drei-Gänge-Menü. Ich schraube die Flasche zu und spüre die Kraft in meine Beine zurückkehren. Müde, wie nach einer Völlerei fühle ich mich nicht. Die Mandys und Kevins sehen mich mit großen Augen an. »Es ist in Ordnung. Ihr müsst nur die Nase zuhalten.«

Kevin 2 glaubt mir nicht: »Pf, na klar«, doch seine Freundin überwindet sich und bestätigt meine Aussage. Dann trinken sie alle.

Ich stehe wieder am Fenster, Mandy 1 neben mir.

»Wo werden sie uns hinbringen?« Sie sieht mich fragend an, als müsse ich die Antwort wissen. Seitdem ich ihnen gezeigt hatte, dass sie den Flascheninhalt trinken können, sehen sie zu mir auf, als sei ich ihr Anführer. Ich rolle mit den Augen und unterdrücke den Gedanken, dass sie mich Führer nennen könnten.

»Ich weiß es nicht«, antworte ich, »Ich bin doch genauso gefangen, wie ihr.«

Sie nickt, geht zurück zu ihren Freunden.

»Meinst du wir bekommen eine schöne Wohnung?«, fragt Kevin 1. Ich drehe mich um und sehe ihn überrascht an, doch er hat nicht mit mir gesprochen. Kevin 2 nickte. »Na klar, das müssen sie doch – oder? Das ist doch ihre moralische Pflicht.«

Ich muss lachen und die Vier sehen mich fragend an. »Vielleicht verkaufen sie uns auch als Sklaven«, rutscht es mir heraus und die beiden Mandys schreien auf. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Das hätte ich nicht sagen sollen, ich weiß, aber die Dummheit der beiden Kevins ist kaum auszuhalten. Ich drehe mich wieder zum Fenster. Die Sterne halten plötzlich an. Ich spüre nichts, als wäre das Schiff wirklich die ganze Zeit an Ort und Stelle geblieben und das Universum hat sich für uns bewegt.

Dann dreht sich das Schiff und ich sehe einen Planeten. Er ist nicht ganz so blau wie die Erde, doch große Ähnlichkeiten sind da. Neben mir stehen die Kevins und Mandys und starren mit offenem Mund. »Wir sind wieder zuhause«, sagte Mandy 1 und ich habe keine Kraft, ihr zu erklären, dass dies unmöglich sei. Die Erde ist jetzt ein Feuerball. Ich habe es gesehen, während die Vier in der Ecke kauerten und wimmerten. »Jetzt kommen wir nach Hause.«

Ich seufze. Wie lange waren wir unterwegs? Ich sehe die Flaschen auf dem Boden stehen, drehe mich im Kreis. So viel Platz für fünf Flüchtlinge und dann lache ich. Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten. Ich kugle mich auf dem Boden, drehe mich mehrfach, so viel Platz. Ich frage mich, ob ich auch noch zugenommen habe? Selbst als Flüchtlinge leben wir luxuriös. Ich lache, ich weine. Ich weiß einfach nicht mehr weiter.

Ich kann mich erst wieder zusammenreißen, als die Tür aufgeht und der Echsenmann uns zuwinkt. Meine Bauchmuskeln schmerzen, meine Augen sind geschwollen, doch ich rapple mich auf. Die Mandys und Kevins warten tatsächlich darauf, dass ich vorgehe, selbst jetzt, nach meinem Ausbruch glauben sie, ich wäre ein guter Anführer. Ich folge seufzend dem Echsenmann durch den Gang, der in einen Frachtraum mündet. Am anderen Ende des Raums öffnet sich laut quietschend eine Rampe. Keine zwanzig Meter davon entfernt stehen Menschen mit Transparenten und warten auf uns. Sie rufen uns auf Englisch Begrüßungen zu, ich winke, bleibe jedoch auf der Rampe stehen. Irgendwo müssen doch die anderen sein, die die uns nachhause schicken wollen, die Mandys und Kevins dieses Planeten. Doch ich sehe niemanden, höre nichts. Der Echsenmann stößt mir in den Rücken und ich stolpere auf den warmen Boden. Die Sonne blendet mich und ich muss mir die Hand vor die Augen halten. Jemand kommt auf mich zugerast, sagt etwas in einem merkwürdigen englischen Dialekt und schon habe ich eine Sonnenbrille auf der Nase.

Ich danke ihm. Er gibt den Mandys und Kevins ebenfalls eine Brille und deutet uns den Weg zu der Menschenmenge.

»Come. You’re safe now. I’m Harold. Welcome to the first human colony!«

»How?«, frage ich. Ich trau mich immer noch nicht, zu gehen. Harold erklärt mir, dass die Kolonie vor zweihundert Jahren gegründet wurde, als die ersten Menschen von Außerirdischen entführt wurden. Nach ihren Experimenten sollten sie hier ein neues Zuhause finden. Über die Jahrzehnte ist so eine Gemeinschaft gewachsen, die es gewohnt ist, immer neue Menschen aufzunehmen. Ich drehe mich zu meinem Gefolge um und übersetze. Mandy 1 beginnt zu weinen und wiederholt immer und immer wieder ein »Sänk ju«. Die anderen schweigen. Kopfschüttelnd folge ich Harold.

 

 

***

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