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Hannes Niederhausen

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Die Rache des Blutmagiers

Ein Schweißtropfen fiel auf den grauen Stoff. Doran legte das Kleid auf den Tisch, füllte seinen Becher mit Wasser aus dem Krug und trank ihn in einem Zug aus. Dann nahm er das halbfertige Kleid erneut auf und beendete die Naht. Er seufzte. Heute würde er nicht fertig werden, Rahel würde traurig sein, doch so war das Leben nun einmal: voller Enttäuschungen und Rückschläge.

Doran berührte den Anhänger an dem Lederband um seinen Hals. Eine roter Tropfen, ein Relikt aus einer anderen Zeit. Als er glücklich war, als er noch nicht allein war. Ein Klopfen an der Tür rettete ihn vor weiteren dunklen Gedanken. Er legte das Kleid wieder auf den Tisch, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah nach, wer ihn bei der Hitze besuchen kommt. Bei 45°C zur Mittagszeit, trauten sich die wenigsten Bewohner auf die Straße.

Niemand da. Doran schloss die Tür und schaute zurück zum Arbeitstisch. Seufzend nahm er einen Schritt und trat einen kleinen gelben Brief in den Raum. Verwirrt sah er auf den Umschlag mit dem roten Tropfen. Es war schon lange her, dass er einen Auftrag erhalten hatte. Er hob ihn auf, musterte ihn intensiv, und setzte sich, das Kleid völlig ignorierend. Er öffnete den Umschlag, nahm das dicke gelbe Papier heraus, leer, wie erwartet, und legte es auf den Tisch. Wie konnte er jetzt einen Auftrag annehmen. Nun wo er seine Jagd aufgegeben hatte, zu alt und schwach, weiter durch die Lande zu ziehen und Jareh und Gadrun zu rächen. Das Monster ist immer noch da draußen, irgendwo und mordet wahrscheinlich weiter, mehr tote Ehefrauen, mehr tote Töchter. Wie konnten sie glauben, dass er einen neuen Auftrag annehmen würde, wenn er sich nicht einmal stark genug fühlte, sich zu rächen?

Er nahm eine Nadel vom Tisch und stach sich in den Finger. Einmal, zweimal, endlich beim dritten Mal stach er durch die dicke Hornhaut und Blut tropfte auf den Umschlag. Die Beschwörung war ihm sofort wieder gegenwärtig, als hätte er sie erst gestern gelernt: »Ajura ahn jami.«

Ein roter Schatten legte sich auf das Papier und langsam erschienen die schwarzen Buchstaben: »Er ist nah, such den schönsten Baum. Ein Abschiedsgeschenk.«

Dorans Hand zitterte, sollte es wirklich wahr sein, nach all den Jahren würde er seine Rache erhalten? Vorsichtig legte er den Brief auf den Tisch, als wäre er leicht zerbrechliches Glas. Er konnte nicht einfach den Baum suchen und das Monster attackieren. Er musste sich vorbereiten, so viel war ihm klar; genauso, dass er das nicht überleben könnte.

Doran drückte sich nach oben, braucht ein paar Sekunden um die wackligen Beine zu stabilisieren, und begab sich in den Keller seines kleinen Hauses. Nur wenig Licht schien durch die Schlitze in den Wänden. Es genügte, um Doran zur Kiste zu führen, die seine Werkzeuge enthielt. Nicht die Werkzeuge eines Schneiders, die eines Blutmagiers.

Er wischte die dicke Staubschicht vom Deckel, und hob ihn an. Er fand drei leere Phiolen und zwei Bücher noch genauso vor, wie er sie zurückgelassen hatte. Doch der Dolch; wo hatte er ihn gelassen?

Er steckte sich drei der Phiolen in die Hosentaschen, nahm das Buch der Kampfkunst in die Hand und mit knackendem Rücken richtete er sich wieder auf. Zu spät. Es war viel zu spät.

Den Dolch fand er hinter dem Besteck in einer Schublade in seiner Küche. Er legte ihn vor sich, die Phiolen links und das Buch rechts von sich und setzte sich. Mit geschlossenen Augen summte er einen Stärkungszauber und nach und nach spürte er, wie sich die Energie in seinem Körper sammelte. Sein Rücken spannte sich, die zitternden Hände wurden ruhig und auch die Beine gewannen an Kraft und Form. Seine Haut spannte sich am ganzen Körper.

Dann öffnete er die Augen, nahm den Dolch und ritzte einen zeigefingerlangen Schnitt in den Unterarm. Erst als er die erste Piole an den Anfang des Schnitts hielt, begann Blut aus den Arm zu laufen.

Doran atmete tief durch, als er geschickt mit einer Hand die Phiole zukorkte und die zweite nahm. Wenige Minuten später waren alle Phiolen gefüllt und Doran murmelte die Heilbeschwörung. Die Energie, die seinen ganzen Körper spannte floss in seinen Arm, der Schnitt verheilte in Sekundenschnelle und Doran war von der Welle der Erschöpfung überrascht. So stark hatte er es noch nie empfunden.

Er lehnte sich zurück, schloss wieder die Augen und stellte sich das lächelnde Gesicht seiner Frau vor. Wie immer hielt das Lächeln nicht lange an, das Gesicht wurde bleich, als das Blut aus ihrem Körper floss, aus den tiefen Schnitten an den Oberschenkeln.

Durch die Wut neu gestärkt, schlug er das Buch auf, nahm eines der Blutröhrchen und las die erste Kampfformel. Er spürte, wie die Energie aus seinem Körper in das Röhrchen überging. Nach dem dritten war er so erschöpft, dass er sich hinlegen musste.

»Such den schönsten Baum«, murmelte er mantraartig, während sein schlaffer Körper Ruhe suchte. »Such den schönsten Baum.« Irgendwann schlief er ein.

Es war bereits dunkel geworden, als er durch das Knarren seiner Eingangstür wach wurde.

»Doran? Bist du da?«, fragte eine Frauenstimme und er brauchte einen Moment, um klar zu werden und Rahel zu erkennen. Sie wollte sicher wissen, wie weit er mit ihrem Kleid gekommen war. Doran stemmte sich auf und krächzte: »Hier hinten. Einen Moment!«, doch statt zu warten, rannte Rahel auf ihn zu. »Ist dir etwas passiert? Bei den Göttern, du siehst furchtbar aus. Komm lass mich dir helfen.«

Doran winkte ab. »Alles halb so schlimm, wirklich.«

Ächzent stemmte er sich auf. Er wankte und hielt sich an der Wand fest. Rahel nahm seinen freien Arm und führte ihn zum Tisch, wo die Phiolen, der Dolch und das Buch lagen. So ein Mist!

»Was ist das?«, fragte sie.

»Nichts. Rahel, es ist besser, wenn du gehst.«

»Nein«, sagte sie und verschänkte die Arme vor ihrer Brust.

»Was meinst du mit nein?«

»Ich werde nicht gehen. Wir hatten eine Verabredung, und wenn du nicht stark genug bist, mit mir essen zu gehen, dann werde ich eben hier etwas zubereiten.«

Das Abendessen. Doran seufzte, er hatte es völlig vergessen. Sie wollte ihm danken, dass er ihren Lieblingsrock geflickt hatte, und das völlig kostenlos. Oder war da doch mehr. Er folgte ihrem Blick, der sich nicht von den Blutröhrchen lösen konnte.

»Was ist das, Doran?«

»Magie«, murmelte er.

Sie nahm das Buch in die Hand und las die aufgeschlagene Seite.

»Ich wusste gar nicht, dass unser Schneider ein Blutmagier ist«, sagte sie und Doran konnte nicht anders, als sie verwirrt ansehen. Hatte sie das wirklich gesagt oder wurde er verrückt.

Sie lächelte ihn an. »Auch ich habe nicht immer in diesem kleinen Ort gewohnt.«

Sie streichelte Doran über den Kopf und er seufzte erleichtert. Konnte er doch den Rest seiner Tage mit dieser Frau verbringen. Wollte er es? Im Moment fühlte er sich so schwach, dass Dekaden zwischen ihnen liegen mussten, und doch war die Frau die ihn besorgt ansah, nur vier Jahre jünger.

»Ich dachte immer, der Orden entlässt seine alten Mitglieder.«

Doran räusperte sich. »Tut er auch. Die Magie zerrt zu sehr an unseren Kräften.«

»Und warum?«, fragte sie und zeigte auf den Tisch.

»Ein letzter Auftrag. Etwas Persönliches. Ich muss das noch tun.«

»Musst oder willst? Wirst du das überleben?«

Er schaute in ihre Augen, sein Gesicht spiegelte sich darin. Es sagte alles, Worte waren nicht nötig. Sie setzte einen Schritt zurück. »Ich hatte gehofft …« Sie schüttelte den Kopf, wandte sich ab und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzusehen. Doran senkte den Kopf, schluckte hart und schnaufte. Er konnte sie nicht ungerächt lassen, und wenn es ihn sein Glück kostete, dann sollte es halt so sein.

Der Mond stand voll im klaren Himmel, betrahlte die Straßen, die von den ausgeruhten Menschen bevölkert wurden. Hie und da stand eine Gaslaterne an der Straße, nötig waren sie nicht, Doran brauchte nur die große Laterne über ihm.

Doran ging um diese Uhrzeit oft spazieren und so wusste er bereits, welchen Baum sich Shamun ausgewählt hatte. Der Weg führte ihn von der Hauptstraße und damit von den Menschen weg. Vor ihm erstreckte sich ein kleiner Wald und in dessen Mitte, wusste Doran, würde er den schönsten Baum und damit seine Rache finden.

Doran griff in die Ledertasche, die gegen sein Bein schlug und ertastete die drei Phiolen und den Dolch darin. Das Mondlicht schaffte es nicht durch das dichte Blätterdach, doch Doran wurde nun von einer Kraft geleitet, die sich über die Jahre voll Hass in ihm ausgebreitet hatte. Nach hundert Schritten betrat er die Lichtung im Zentrum des Walds, vor ihm erstreckte sich der alte Baum, der keinen anderen in seiner näheren Umgebung duldete.

Der Magier nahm die erste Phiole und warf sie gegen die alte Rinde. Sein Blut zischte, als es vom Stamm herunterlief. Doran hörte das vertraute Rascheln aus dem Baum. Tausend leise Klicklaute verstärkten sich zu einem Donnern. Dann sah er den ersten von tausenden Käfern, die den Baum zu bedecken schienen.

»Zeige dich, Shamun. Dein Ende ist nah.«

Die Käfer liefen auf den Rasen vor dem Baum, verklumpten zu einer Masse, die sich immer weiter auftürmte, bis sie eine menschliche Form bildete.

Das Knacken von tausend Haselnüssen krachte durch die Lichtung und die Käfer wurden zu einer schwarzen Masse. Kurze Zeit später stand ein lächelnder alter Mann vor dem Blutmagier.

»Du bist alt geworden, alter Feind. Ich hatte gehofft, du wärst längst tot«, sagte Shamun. Von seinem Körper fielen die Panzer der Käfer ab, Reste, die nicht mehr benötigt wurden.

»Ich bin hier, um dir zu geben, was du verdienst«, knurrte Doran und Shamun lachte aus vollem Leib. Er beugte sich nach hinten, lachte in den Himmel, wobei sein Rücken laut knackte.

»Mir scheint, ich bin nicht der einzige Alte hier«, sagte Doran, holte die zweite Phiole aus der Ledertasche und warf sie dem Monster auf die Brust. Sie prallte ab und zerbrach auf dem Boden.

Shamun lachte weiter. »Zu schwach, alter Mann. Du kannst mir nichts mehr anhaben.«

Dorans Blut sickerte in den Boden und an der dieser Stelle traten Wurzeln hervor, die sich um Shamuns Füße wickelten. Das Lachen blieb dem Monster im Halse stecken. Jetzt grunzte er wütend.

»Also gut, wenn du so willst.«

Die Augen des Gefesselten glühten und dann sah Doran für einen Moment nur Sterne. Er lag auf dem Boden, seine Brust schmerzte. Eine Druckwelle! Ächzent rappelte er sich auf und schleppte sich zu dem Mann, der wild gegen die Schlingen kämpfte. Trotz der Schmerzen konnte sich Doran ein Lächeln nicht verkneifen. Je mehr Shamun kämpfte, desto enger schlangen sich die Wurzeln um seine Beine.

»Der Zauber ist zu stark. Du musst …« Shamun schaute den Magier entsetzt an. »Wir sterben also beide hier«, sagte er und nickte wissend. Er kämpfte nicht mehr, richtete sich auf und erwartete den Todesstoß. Doran nahm den Dolch aus der Tasche und stieß ihn direkt in das Herz des Monsters. Shamun schrie nicht, zuckte nicht, er atmete ein letztes Mal aus und zerfiel zu Staub. Es war vollbracht.

Doran ließ den Dolch fallen und kurz darauf stürzte er hinter her.

»Nein!«, rief eine Stimme hinter ihm. Es war Rahel, die ihm gefolgt war. Sie lief auf ihn zu und ließ sich neben ihm auf den Rasen nieder. Vorsichtig schob sie seinen Kopf auf ihren Schoß und kraulte ihm den Kopf.

Er hatte nicht mehr viel Zeit. Der Fesselzauber zog an seiner Kraft, er brauchte die letzte Pihole, um die Bindung zu beenden, so lange er noch konnte. Seine Brust schmerzte, eine Rippe war sicher gebrochen, doch das spielte keine Rolle.

»Tasche«, brachte er heraus und Rahel zog die Tasche zu sich. Sie öffntete sie und seufzte.

»Sie ist kaputt«, sagte sie, als teilte sie ihm mit, dass ein Buch eine eingerissene Seite hatte. Sie hatte ja keine Ahnung. Doran war zu schwach um geschockt zu sein. »Dann ist das mein Ende«, sagte er monoton.

»Nein. Was redest du? Das Monster ist besiegt, du wirst wieder gesund, ich hole einen Heiler.«

Er nahm ihre Hand und schüttelte den Kopf. »Keine Heilung möglich. Zauber nimmt meine Kräfte … es tut mir Leid.«

Sie begann zu weinen, streichelte über seine Wange und fragte immer wieder: »War es das Wert?«

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