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Hannes Niederhausen

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Die letzte Wunderkerze

Als Du die Augen öffnest, siehst Du die Welt wie durch einen Schleier. Erst nach mehrmaligem Blinzeln erkennst Du die Hauswand auf der anderen Seite der Straße. Du versuchst aufzustehen, doch Deine Beine sind so wacklig, dass Du ihnen lieber noch ein paar Minuten Zeit gibst, und denkst darüber nach, was Du getan hast.

Eine Zeitreise. Der Tunnel hat Dich wirklich zurückgebracht, aber ist es die richtige Zeit? Bist Du im Jahr 2018 gelandet?

Du schaust Dich um, versuchst, irgendeinen Hinweis auf Datum und Uhrzeit zu erhaschen, doch hier ist nichts. Keine Zeitungen, keine Kassenbelege auf der Straße, nichts, worauf das Datum stehen könnte. Die Straßen sind so rein, so sauber, ganz im Gegensatz zu den Straßen zu Deiner Zeit.

Dabei bist Du gar nicht so weit gereist, gerade mal zehn Jahre sind es, doch in zehn Jahren kann viel passieren, in einem Jahr kann so viel passieren, wird Dir wieder klar. Jetzt erinnerst Du Dich, warum Du überhaupt hier bist.

Du bewegst die Füße, schüttelst die Beine aus und so langsam fühlt es sich an, als könnten sie Dich tragen. Also erhebst Du Dich, hältst Dich an der Hauswand fest, nur zur Sicherheit, doch Du stehst stabil in der Vergangenheit.

Du klopfst den Staub vom Mantel, schaust Dich um. Jetzt erkennst Du auch die Straße, sie ist gar nicht so weit von Deinem Ziel entfernt, Deinem alten Heim, Deiner Familie.

Die Straßen sind leer, nur gelegentlich fährt ein Fahrrad oder ein Auto an Dir vorbei. Es ist ruhig, alle bereiten sich auf den großen Knall vor. Im Hintergrund hörst Du bereits Raketen fliegen, Böller knallen, aber es ist harmlos, es ist noch nicht Mitternacht. Du hast noch Zeit.

Als Du rechts abbiegst, rennst Du fast gegen eine junge Frau. Erschrocken springt sie zurück und lacht peinlich berührt. Du lächelst sie an, wünschst ihr einen guten Rutsch, doch dann fällt Dir ein, dass Du noch gar nicht weißt, welches Jahr ist, wie spät es ist und Du fragst sie. Sie antwortet Dir, es ist der richtige Tag, der 31. 12. 2018. Es ist 22:40 Uhr, in zehn Minuten wirst Du die Wohnung verlassen, im Streit, weil Du lieber eine Party feiern wolltest, statt bei Deiner Familie zu bleiben, bei Miriam, Deiner kranken kleinen Schwester. Sie wünschte sich doch nur, ein paar Wunderkerzen mit Dir anzuzünden, doch Du wolltest nicht. »Das können wir auch nächstes Jahr machen«, hast Du gesagt – aber das konntet ihr nicht. Zwei Monate hat sie noch zu leben und Du hast die letzten schönen Momente einfach weggeworfen.

Du bedankst Dich bei der Frau und gehst weiter, während Du den Kloß im Hals herunterschluckst. Jedes Mal, wenn Du an Miriam denkst, kommen die Tränen, auch jetzt füllen sich Deine Augen mit Wasser, doch Du blinzelst es weg und gehst weiter.

In nur fünf Minuten hast Du das Haus erreicht. Du versteckst Dich im Hauseingang des Nachbarhauses und wartest. Dann hörst Du, wie die Haustür zuknallt und Dein früheres Ich an Dir vorbei stapft. Es ist verlockend, Dich am Kragen zu packen und Dir den Kopf zu waschen, Dich daran zu hindern, zur Party zu gehen, doch Du weißt, dass Du die Vergangenheit nicht verändern darfst. Du schaust Dir nach und wartest, bis Du aus dem Blickfeld verschwunden bist. Du trägst die gleiche Kleidung, wie Dein vergangenes Ich, das wird es einfacher machen, hat der Wissenschaftler gesagt. Jetzt musst Du nur noch warten. Es wird nicht mehr lange dauern, Miriam ist müde und schwach, sie hält nicht bis Mitternacht durch, das hatte Mutter Dir gesagt.

Du stehst einfach so da, die Kälte kriecht in Deinen Körper. Den Schal hast Du Dir schon über die Nase gezogen, Deine Mütze tief in die Augen.

Endlich! Die Haustür öffnet sich wieder und Du siehst sofort, dass Mama mit Miriam auf dem Arm auf den Fußweg schreitet. Sie wirkt unsicher, balanciert eine leere Sektflasche, Raketen, Wunderkerzen und die kleine Schwester gleichzeitig. Dass sie nichts fallen lässt, grenzt an ein Wunder. Du läufst auf sie zu und kannst die Flasche gerade so noch auffangen, nimmst ihr die Raketen ab, während sie Dich überrascht ansieht.

»Was machst Du denn hier?«, fragt Mama und Du zuckst mit den Schultern, als wäre es überhaupt nichts, als hättet ihr euch nicht gestritten.

Miriam lacht, will auf Deinen Arm und Du nimmst sie, drückst sie eng an Dich und atmest ihren Duft. Es ist viel zu lange her. Die Tränen kehren zurück und Du blinzelst schnell, um sie zu verscheuchen. Es muss aussehen, als würdest Du verrückt werden, aber vielleicht bist Du das auch, vielleicht ist das alles hier nur eine Illusion produziert durch deinen Schmerz und dem Schuldgefühl.

Mama nimmt die Sektflasche, stellt sie auf den Boden und die erste Rakete hinein. Sie wartet, bis sie eure volle Aufmerksamkeit hat. Dann brennt die Zündschnur und sie kommt zu euch.

Ein Zischen, ein Knall und unzählige bunte Sterne am Himmel. Miriam lacht, Du lachst und für einen kurzen Moment ist das Leben wunderschön. Nach fünf weiteren Raketen wird es Zeit für die Wunderkerzen. Mama zündet sie an, eine für Miriam, eine für sie und eine für Dich.

Sie lacht, als Du ihr zeigst, wie man mit einer Wunderkerze malen kann. Ihr Lachen ist ein Traum, den Du Dir endlich erfüllen kannst. Sobald die Flammen das Ende einer Kerze erreicht haben, hat Mama bereits die nächste angezündet und reicht sie euch. Zehn Kerzen später gähnt Miriam und reibt sich die Augen.

»Zeit für das Bett«, sagst Du und dann erklärst Du Mama, dass Du wieder auf die Party gehen wirst. Diesmal gibt es keinen Streit, Mama bedankt sich, dass Du zurückgekommen bist, sie drückt Dich und Miriam, dann nimmt sie sie Dir ab.

»Gute Nacht, kleine Prinzessin«, sagst Du, »und träume mir bloß keinen Käse!« Das hast Du immer zu ihr gesagt, seit sie die Worte »So ein Käse« aufgeschnappt hatte.

Du spürst die schwere Trauer in Deinem Inneren. Es ist, als würde sie das Herz nach unten ziehen und am Schlagen hindern. Mama wünscht Dir viel Spaß auf der Party.

Du erinnerst Dich an sie, wie Du in der Ecke gesessen hast, niemand mit Dir sprach. Was für eine Party, was für eine Verschwendung, aber daran willst Du jetzt nicht denken.

Du hast Deinen Moment gehabt und nun ist es Zeit für Dich zurückzukehren.

Du senkst den Schal, küsst Miriam auf die Stirn und dann Mama und verabschiedest Dich von den beiden, für immer. Sie winken Dir zu und Du schaust mehrfach zurück, winkst, weinst und dann endlich kehren sie ins Haus zurück.

Du brauchst einen Augenblick, um Dich an den Weg zu erinnern, dann gehst Du die Straßen entlang zurück zu dem Haus, vor dem Du aufgewacht bist. Es sind nun viel mehr Leute auf der Straße, aufgeregt schauen sie auf ihre Uhren und dann hörst Du den ersten Glockenschlag. Es ist Mitternacht.
Leute fallen sich in die Arme, wünschen sich ein frohes neues Jahr und viel Gesundheit und Glück, füreinander, miteinander. Du grüßt höflich zurück, wenn Dich jemand anspricht, doch fröhlich bist Du dabei nicht. 2019 ist für Dich Vergangenheit. Ein Jahr voller Trauer und Elend, das Du schnell vergessen möchtest. Um Dich herum knallt es, Raketen fliegen in die Lüfte und erhellen die Straßen und alle schauen auf und sehen dabei nicht den gelben Kreis, der plötzlich in der Hauswand erscheint.

Das ist ein Portal, so kommst Du zurück. Du zögerst, überlegst hierzubleiben. Dann fragst Du Dich, was die beiden wohl Deinem früheren Ich sagen werden. Du erinnerst Dich, dass sie gesagt hatten, wie sehr sie sich über Deine Rückkehr gefreut hatten, doch Du hattest das immer für einen schlechten Scherz gehalten. Es war also schon geschehen, noch bevor Du in die Vergangenheit gereist warst.

»Versuch überhaupt nicht erst, darüber nachzudenken. Zeitparadoxen sind die Schlimmsten.« Da hatte der Wissenschaftler wohl recht. Aber er hatte auch gesagt, dass Du auf keinen Fall dableiben kannst.

»Frohes neues Jahr«, murmelst Du und dann schreitest Du durch das gelbe Portal.

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