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Hannes Niederhausen

Herzlich willkommen auf meiner Autorenseite.

Der letzte Tag

Beginnen wir kurz und schmerzlos ganz von vorne, denn wie Sie noch erfahren werden, liebe Leser, ist Ihre Zeit sehr begrenzt.

Wie jeden Morgen stand Christian Mertens um sechs Uhr dreißig auf und duschte. Er nahm seinen Thermobecher aus der Spülablage, polierte den Rand und machte sich auf, um sich einen Kaffee und etwas zum Frühstück zu holen.

Seit Jahren holt sich Christian seinen Kaffee beim Bäcker um die Ecke, und seit Jahren reicht er einen Mehrwegbecher über den Tresen. Doch diesmal war eine neue, junge Verkäuferin hinter der Theke. »Der passt doch nicht richtig unter den Automaten«, seufzte sie. Sie wendete sich von ihm ab und griff nach einem Pappbecher.

»Bitte nicht!«, warf Christian ein. »Das wäre ja noch verschwenderischer, wenn ich den Kaffee daraus trinken würde. Sie können doch den Untersatz abnehmen, dann passt der Becher, so macht es ihre Kollegin sonst auch.«

Sie versuchte es und seufzte erleichtert auf, als der Becher sich langsam füllte.

»Ganz voll wird der aber nicht«, rief sie ihm zu.

»Das ist nicht schlimm. Hauptsache der Umwelt ist etwas Gutes getan worden.«

Christian konnte ihre rollenden Augen zwar nicht sehen, aber irgendwie spürte er trotzdem, dass sie zu denjenigen gehörte, die den Umweltschutz nicht so ernst nahmen. Wenn sie doch nur wüsste, was er wusste. Aber er konnte es ihr nicht sagen, nicht dass sie ihm glauben würde.

Sie reichte ihm den Becher. »Sonst noch was?«

»Gerne noch zwei Rosinenbrötchen. Auf die Hand bitte, ich brauche keine Papiertüte.«

»Natürlich, die Umwelt«, sagte sie und reichte ihm die Brötchen.

Er zahlte, bedankte sich und machte sich weiter auf den Weg zu seiner Arbeitsstelle.

Wie immer fuhr Christian Punkt sieben mit der U-Bahn zur Arbeit. Wo genau er arbeitet, darf ich Ihnen nicht verraten, denn Christian ist in geheimer Mission unterwegs. Nein, unterwegs stimmt auch nicht, denn Christian gehört zu der Sorte Mensch, die ihre Arbeit am Computer erledigen. Deshalb treibt er auch Sport, meist nach seiner Achtstundenschicht, alle zwei Tage. Heute wäre es wieder soweit, doch zum Sport würde er nicht mehr kommen.

Christian liebt seine Arbeit und häufig betritt er mit einem fröhlichen Pfeifen auf den Lippen den Betonbau, gibt beim Wachmann widerspruchslos sein Handy ab und wünscht ihm einen schönen Tag. Ein Fahrstuhl führt nicht nur acht Etagen nach oben, sondern auch fünf nach unten. Und in der Vierttiefsten hat Christian seit zwanzig Jahren seinen Arbeitsplatz.

»Guten Morgen«, rief Christian wie jeden Tag in den Raum hinein. Es ist ein großer Raum, gefüllt mit dreißig Schreibtischen, schön ordentlich in Reihe und Glied gestellt und der vierte links in der dritten Reihe, das ist Christians.

»Moin, moin«, sagte Karl-Heinz und reichte unserem Christian die Hand.

»Guten Morgen«, antwortete der und setzte sich. Er steckte den kleinen USB-Stick an seinem Schlüsselbund in die Tastatur, die Finger huschten darüber, und schon wurde das Passwort akzeptiert.

»Irgendwas Neues?«, fragte Christian seinen Kollegen.

»Nö, alles wie gehabt. Der Mensch ist und bleibt eine Drecksau. Ich mach mich mal vom Acker. Viel Spaß noch.« Karl-Heinz machte natürlich einen Scherz. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie jemand Spaß an ihrer Arbeit haben konnte. Christian aber bemerkte es nicht, er bemerkt es nie, denn er ist einer dieser für Karl-Heinz unvorstellbaren Menschen. »Der Mensch kann sich ändern«, murmelte Christian heute Morgen noch hoffnungsvoll und dachte an die junge Bäckereifachverkäuferin, die ihm nach kurzem Zögern keinen Pappbecher aufgezwungen hatte. »Es ist ja noch Zeit.«

Leider irrte sich Christian gewaltig, wie ihm klar wurde, während er seufzend die Werte in seinen Tabellen durchging. Es sah ganz und gar nicht danach aus, dass der Mensch sich ändern würde, ganz im Gegenteil. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer.

Die Werte blieben unverändert, wie sie es schon seit Jahren taten, Christian lehnte sich seufzend zurück. Wenigstens stiegen sie nicht weiter.

»Wie viel Zeit bleibt uns allen denn noch?«, fragte er sich leise und meinte: Wie viel Zeit würden SIE uns noch geben?

Er fühlte den Druck des Wissens auf seiner Brust liegen. Es gab Menschen, die glaubten nicht an die globale Erwärmung, denen waren die Müllberge an Plastik egal, doch würden sie auch SIE ignorieren können? Würde die Menschheit sich nicht ändern, wenn sie wüssten, unter welchem Damoklesschwert sie ihre Plastikkügelchen ins Grundwasser spülten?

Christian war sich sicher, dass die Erde schon viel sauberer wäre, wenn alles wüssten, was er wusste, doch er durfte nichts verraten.

Die nächste Stunde verbrachte er damit, die aktuellen CO2-Werte in amerikanischen Großstädten zu analysieren. Es sah nicht gut aus.

Gegen Mittag wurde Christian von seinem Vorgesetzten in dessen Büro gebeten. Davids Augen waren gerötet, als Christian sich ihm gegenüber setzte und vor ihm standen zwei Whiskygläser, eins halb gefüllt, das andere nahezu leer. Christian hatte eine Ahnung, was dies bedeutete, doch wirklich wahrhaben wollte er es nicht. Doch dann sprach es David aus. »Es ist soweit. SIE haben beschlossen, es heute zu tun.«

Warum heute? Was war anders als die anderen Tage? Als würde David seine Gedanken lesen können, antwortete er: »Ich denke, SIE haben es einfach satt. Dreißig Jahre warten SIE auf Besserung, und es wird nur schlimmer.«

»Wie?«, hauchte Christian.

David schüttelt den Kopf. »Ich weiß lediglich, dass es heute geschehen wird.«

»Keine Chance mehr?«

»Heute nicht. Vielleicht haben wir Glück und SIE lassen ein paar zurück. Für einen Neuanfang.«

»Aber du weißt es nicht?«

Wieder schüttelte David den Kopf, ganz langsam diesmal, dann schob er das Whiskyglas zu Christian hinüber. »Ich wollte es dir persönlich sagen, geh nach Hause, rede mit deiner Mutter, ich weiß nicht genau, wann es losgeht, aber wenn, dann solltest du bei ihr sein.«

Christian und David kannten sich schon seit der Schulzeit. Damit gehörte er quasi zur Familie, und Christian wollte, dass David mit ihm kam, doch der würde seinen Posten nicht verlassen. Er musste den anderen Bescheid sagen, er musste sie alle nach Hause schicken, und dann?

»Was wirst du tun?«, fragte Christian.

David nahm nun sein eigenes Glas, setzte es an den Mund und leerte es. »Du kennst ja meine Aufgabe. Bis zur letzten Sekunde IHNEN beistehen.«

»Werden sie dich verschonen?«

»Ich bezweifle es. Welchen Grund sollten Sie haben? Was soll ich denn als letzter Mensch in diesem Universum tun? Nein, SIE tun, was SIE tun müssen. Mit der Erde und mit mir.«

Christian nippte an seinem Glas, der Schnaps brannte auf seiner Lippe, im Hals und dann wärmte er den Magen, doch all das half überhaupt nicht. Er wollte sich nicht betrinken, er wollte hinausgehen, seine Mama schnappen und ein letztes Mal im Park spazieren gehen.

Er stellte das Glas auf den Tisch, bedankte sich und ging mit gesenktem Kopf aus dem Büro. »Christian!«, rief David hinter ihm her. »Ein Taxi wartet auf Dich unten. Nimm es!«

»Ich nehme die U-Bahn«, sagte er.

»Nimm es. Das ist meine letzte Anweisung!«

Christian schloss die Tür und ging zum Fahrstuhl.

Widerwillig stieg Christian in das Taxi ein.

»Wo soll’s denn hingehen?«

Er nannte die Adresse seiner Mutter und der Fahrer nickte. Das Radio dudelte leise vor sich hin, irgendeine komische Wohlfühlmusik, aber Christian fühlte sich überhaupt nicht happy. Er dachte darüber nach, wie schädlich diese Fahrt jetzt für die Umwelt war, während er aus dem Fenster schaute. Fahrradfahrer mussten ständig um auf den Fahrradwegen parkende Autos manövrieren. Er schüttelte traurig den Kopf.

»Ich möchte mich im Namen von uns allen für deine Arbeit bedanken«, sagte der Fahrer plötzlich.

»Was?« Christian musterte den Taxifahrer jetzt ganz genau. Er sah ganz normal aus, wie halt ein Taxifahrer auszusehen hatte, fand er. Türkischer Abstammung, aber akzentfreies Deutsch. Dann erkannte er den goldenen Ring an der rechten Hand des Fahrers.

»Sie sind einer von IHNEN«, sagte er.

»IHNEN. Schon lustig, dass ihr uns nie einen Namen gegeben habt. Aber wahrscheinlich muss das so sein, schließlich ist alles, was einem Namen hat, nicht mehr so schrecklich. Und ein großer Schrecken wollen wir wohl sein.«

»Aber warum durften wir dann nicht die Welt vor Euch warnen? Die Luft wäre bestimmt schon viel sauberer, wenn alle wüssten, was ihr vorhabt.«

»Angst sollte nie ein Motivator für gutes Verhalten sein. Ihr Menschen verpestet eure eigene Luft, macht euch und die Umwelt krank. Das sollte doch ausreichen, um umzudenken.«

»Aber wir denken doch um. Es dauert nur alles so quälend lange. Bitte, gebt uns noch Zeit. Und wenn ihr euer Ultimatum öffentlich macht, dann würde es den Klimawandel deutlich verlangsamen, da bin ich überzeugt.«

»Weißt du, wovon ich überzeugt bin?«

Christian schüttelte den Kopf.

»Ich wette, die Menschheit würde sich wirklich zusammen tun, aber nicht, um den Planeten vor sich zu retten. Nein, sie würden noch mehr Ressourcen verschwenden, um einen Weg zu finden, uns zu vernichten. Und wenn sie das geschafft hätten, würde wieder jeder seiner eigenen egoistischen Wege gehen.«

»Das glaube ich nicht«, murmelte Christian.

»Aber wir. Hör zu, es ist nicht so, dass wir Spaß daran haben. Aber wir haben dieses selbstzerstörerische Verhalten schon so oft gesehen. Es reicht! Wenn eine Spezies sich unbedingt selbst vernichten will, dann soll sie nicht noch alle anderen mit sich in den Abgrund ziehen.«

»Eure Meinung steht fest?« Der Fahrer nickte, während er das Fahrzeug parkte. »Heute ist es soweit. Es tut mir leid. Aber ich verspreche, es wird schnell gehen.«

»Wann?«

Der Fahrer schüttelte den Kopf. »Du hast noch etwas Zeit.«

Christian schleppte sich die drei Etagen zur Wohnung seiner Mutter hinauf. Auch sie weiß nicht, was er wirklich arbeitet. Irgendwas mit Zahlen hatte sie immer stolz verkündet, wenn sie von ihrem Sohn erzählte.

Christian klingelte an der Tür und nach einer gefühlten Ewigkeit machte sie ihm auf.

»Schatz? Was machst du denn hier? Ist alles in Ordnung?«

Christians Mutter wäre dieses Jahr 80 Jahre alt geworden.

»Ich wollte mit dir den Tag genießen. Lass uns einen Spaziergang machen«, sagte Christian.

»Aber meine Suppe kocht doch«, sagte sie und ließ ihn in die Wohnung, um ihm den Herd zu zeigen.

»Die kann doch auch später weiter kochen«, sagte er.

Er brauchte ein paar Minuten, doch dann stimmte sie ihm zu, dass ein so schöner Tag nicht in der Wohnung verbracht werden sollte. Schon gar nicht, wenn Christian sich extra für sie frei genommen hatte. Sie beschlossen, im Park zu spazieren.

Christian genießt nun die letzten Stunden unter der strahlenden Sonne mit seiner geliebten Mutter. Wie, lieber Leser, werden Sie Ihre so arg begrenzte Zeit verbringen?

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